7. FORUM FriedensBrot 2022: Landwirtschaft in Kriegs- und Krisenzeiten

Berlin, 19.10.2022

Man hätte die berühmte Stecknadel im Heuhaufen fallen hören können beim FORUM FriedensBrot, das am 19. Oktober 2022 im Besucherzentrum an der Gedenkstätte Berliner Mauer stattfand. Die 7. Ausgabe des FORUM stand unter der Überschrift: „Landwirtschaft braucht Frieden: in der Ukraine, für Europa!“ Gespannt, zuweilen angefasst verfolgten die Teilnehmenden dabei eine bemerkenswerte Gesprächsrunde mit DBV-Präsident Joachim Rukwied und dem ukrainischen Agrarunternehmer Dr. Alex Lissitsa, Präsidiumsmitglied im ukrainischen Agrarverband UCAB.

Vereinsvorsitzender Anton Blöth zeigte sich in seiner Begrüßung zunächst erfreut, dass das FORUM FriedensBrot endlich wieder „live und in Farbe“ stattfinden könne, wechselte aber angesichts des Themas bald in einen nachdenklichen Ton. Der „FriedensBrot“-Kanon: „Landwirtschaft braucht Frieden, Frieden bedingt Erinnern, Erinnern schafft Werte“ habe angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine leider dramatische Brisanz gewonnen und mahne zum Nachdenken und Handeln. Blöth verwies auf die Spendenaktion „Ukraine“ des Vereins, die im Frühjahr 2022 gestartet wurde und dankte allen Spendern. Perspektivisch wollen man der Ukraine, aber auch weiteren EU-Beitrittskandidaten wie Georgien oder Moldawien eine Perspektive im FriedensBrot-Netzwerk „Landwirtschaft und Frieden“ verschaffen. Blöth informierte zudem, dass im Jahr 2024, im 10. Jahr des ukrainischen Maidan, zum 35. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, das Europäische FriedensBrot nach 10-jähriger Reise durch die Partnerländer wieder nach Berlin zurückkehren werde, an den Ort, von dem die Roggensaat und die Idee FriedensBrot ihren Ursprung nahm.

Prof. Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, und Eivina Žižiūnaitė-Allbaz von der Litauischen Botschaft und neue Präsidentin des Clubs der Agrardiplomaten in Deutschland, setzen in ihren Grußworten ein ähnlicher Ton und bekräftigten ihre Solidarität mit der Ukraine. Klausmeier erinnerte in seiner Videobotschaft an die mahnenden Worte des Gründungsvorsitzenden des Vereins FriedensBrot, des verstorbenen „Mauerpfarrers“ Manfred Fischer: „Wo Brot ist, ist Frieden; wo Frieden ist, ist Brot“. Die Agrardiplomatin Žižiūnaitė-Allbaz stellte den Wert europäischer und internationaler Zusammenarbeit heraus und schloss mit einem von Herzen kommenden: „Slawa Ukrajini“.

Ein erster, für viele Teilnehmenden auch emotionaler Höhepunkt des Abends war die Live-Zuschaltung des 21-jährigen Dmytro Zhukov aus Charkiv, den Vereinsgeschäftsführer Dr. Gibfried Schenk im Duett mit Ehefrau Marion interviewte. Dmytro berichtete von seinem neuen Leben, in dem er seit Kriegsbeginn in der Ukraine täglich Brot für die bedürftige Bevölkerung bäckt. Der sehnlichste Wunsch des jungen Mannes ist baldiger Frieden, damit er ein Studium beginnen und Europa bereisen könne, wie der den Teilnehmenden berichtete.

Nicht minder eindrucksvoll waren dann die Schilderungen von Dr. Alex Lissitsa, der gemeinsam mit DBV-Präsident Rukwied unter Moderation von Anton Blöth die Gesprächsrunde im FORUM FriedensBrot bestritt. Lissitsa, 48 Jahre alt, führt eines der größten ukrainischen Agrarunternehmen, zählt zu den führenden Agrarexperten des Landes und gründete nach seiner wissenschaftlichen Ausbildung, die ihn als Doktorand an die Humboldt-Universität zu Berlin führte, auch den Ukrainian Agribusiness Club (UCAB). Sätze, die Lissitsa nachfolgend in Interviews, wie: „Der Arbeitstag begann bei mir mit der simplen Frage im Chat mit 36 leitenden Angestellten, wer nicht mehr am Leben ist. Jeden Tag fehlte jemand“ ließen den Gästen die Luft anhalten.

Der russische Angriff am 24. Februar 2022, mit dem man laut Lissitsa rechnen konnte, hat auf dramatische Weise die Situation im Land und im Unternehmen verändert. Große Teile der Betriebsfläche von rund 120.000 ha liegen im Norden des Landes und in der Zentralukraine. Das Unternehmen verfügt über sechs Siloanlagen mit einer Gesamtlagerkapazität von 550 000 t und hat bis September eine Milchviehanlage mit 1. 000 Milchkühen betrieben. In den ersten Kriegstagen waren große Teile des Betriebes von russischen Soldaten okkupiert, es gab keinen Zugang mehr zu Büros, Konten, zu Technik – und zu den Tieren, die nicht mehr gemolken werden konnten, krank wurden, weshalb am Ende die Schlachtung und Aufgabe der kompletten Milchviehherde stand.

Noch dramatischer war aber die Lage für die Bevölkerung und viele seiner rund 2.000 Mitarbeitenden, v.a. in den ersten Kreistagen. Lissitsa berichtete von (auch weiterhin bestehender) Angst und Verzweiflung im ständigen Bombenhagel und angesichts russischer Gewalt beim Vordringen in Dörfer und Städte. Erst nach der Vertreibung und dem Rückzug der Russen kehrte wieder etwas Normalität in das Leben und in die landwirtschaftlichen Betriebe zurück. „Es musste und muss weitergehen“, aber die Umstände und Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft seien natürlich alles andere als einfach. Fehlende Mitarbeitende, fehlende Planungssicherheit, komplizierte und kostspielige Logistik sowie ausgehende Kapitalreserven bringen die Agrarunternehmen an den Rand ihrer Existenz – mit weitreichenden Folgen für die Agrarproduktion und die Agrarmärkte. Aufhorchen ließ die Aussage von Lissitsa, dass zu erwarten sei, dass die Ukraine im nächsten Jahr als Exporteur von Getreide und Ölsaaten ausfallen werde, und damit 10% vom globalen Weizenhandel fehlen würden.

Diese Prognose befasste auch den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Spätestens damit müsse jedem die systemrelevante Bedeutung der Landwirtschaft klar sein und der Betrag, den auch die deutschen und europäischen Bauern für Frieden und Stabilität leisten können und wollen. Es müsse alles für die globale Ernährungssicherung getan und unverantwortliche Stilllegungsdebatten beendet werden, so seine Forderung. Rukwied stellte sich hinter die EU-Sanktionen gegen Russland, verwies aber darauf, dass steigende Energiepreise und Unsicherheiten auf den Versorgungsmärkten die Bauern wie auch die gesamte Agrar- und Ernährungswirtschaft heftig fordern. Ein Vergleich mit der Situation der ukrainischen Landwirtschaft verbiete sich aber, so der Bauernpräsident.

Der Verein FriedensBrot bedankte sich bei den Protagonisten des 7. FORUM FriedensBrot traditionell mit einem vom Berliner Bäckermeister Zimmermann gebackenen FriedensBrot. Ein solches ging auch mit großem Applaus und herzlichen Dank des Vereins an Nina Parzych, die das FORUM in den letzten 7 Jahren, nun aber zum letzten Mal organisatorisch unterstützt und auf ihre umsichtige und sympathische Weise mitgeprägt habe, wie Geschäftsführer Dr. Schenk bei der Übergabe betonte.

Zum Abschluss des 7. FORUM FriedensBrot überreichte der Verein weitere Spenden aus seiner Ukraine-Aktion. Bei den unterstützten Einrichtungen handelt es sich zum einen um die Initiative „Bortsch“, die mittels Saat- und Pflanzgutspenden den heimischen Gemüseanbau ukrainischer Familien für ihr Nationalgericht unterstützt. Dr. Alex Lissitsa zählt zu den Initiatoren dieser Hilfsaktion und konnte dafür weitere 2.500 € aus der Spendenaktion des Vereins in Empfang nehmen. Zum anderen ging eine weitere Spendentranche an die Nationale Agrarwissenschaftliche Bibliothek in Kiew, die für die Digitalisierung ihrer wertvollen wissenschaftlichen Bestände eingesetzt wird, wie anwesende Mitarbeitende der Bibliothek bei der Spendenübergabe berichteten. Insgesamt erbrachte die Spendenaktion des Vereins FriedensBrot rund 7.500 €, die von Freunden, Förderern und Mitgliedern des Vereins eingegangen sind. Neben der genannten Initiative und der Bibliothek in Kiew, wurde auch die „Union der Ukrainer in Rumänien“ bedacht.

Dr. Alex Lissitsa gab im Umfeld des FORUM FriedensBrot dem Pressedienst Agra Europe ein lesenswertes Interview, das der Verein mit freundlicher Genehmigung hier veröffentlicht:

Bilder: FriedensBrot e.V. / FILMART GmbH

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