9. FORUM FriedensBrot – 20 Jahre Roggenfeld: Versöhnung, Verständigung und Erinnerung an der Nahtstelle zwischen Ost und West

v.l.n.r.: Michael Spengler, Thomas Jeutner, Catarina Zanner, Anton Blöth, Prof. Axel Klausmeier, Dr. Anoush Steinberger-Ficiciyan

Es gab viel zu feiern im Jahr 2025 an der Gedenkstätte Berliner Mauer: den 35. Jahrestag der Deutschen Wiedervereinigung und die 20. Ernte der Roggenfelder rund um die Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße. Grund genug für den Verein FriedensBrot, die Roggenfelder im ehemaligen Todesstreifen – und deren zwanzigjähriges Bestehen – in den Mittelpunkt des traditionellen FORUM FriedensBrot zu stellen, das am 23. Oktober 2025 in seiner neunten Ausgabe im Besucherzentrum der Gedenkstätte Berliner Mauer stattfand.

Das Forum zeigte erneut eindrucksvoll, wie stark das Roggenfeld Menschen bewegt und miteinander verbindet: als Ort der Erinnerung, der Begegnung und der Landwirtschaft – dort, wo seit zwanzig Jahren Roggen wächst, wo einst Mauern standen.

Anton Blöth

Zu Beginn begrüßte Anton Blöth, Vorsitzender des Vereins FriedensBrot, die rund fünfzig Gäste und sprach seinen Dank an alle aus, die die Arbeit des Vereins und das Forum seit Jahren ermöglichen. Besonders würdigte er die Stiftung Berliner Mauer mit ihrem engagierten Team, die Versöhnungsgemeinde, das Albrecht-Daniel-Thaer-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, das die agronomische Betreuung der Felder übernimmt, sowie die Andreas-Hermes-Akademie, mit der seit Anfang des Jahres eine enge Kooperation besteht. Ebenso galt sein Dank den Mitgliedern und Förderern – vor allem dem Verband Deutscher Mühlen – und dem Spandauer Bäckermeister Zimmermann, der das FriedensBrot für diese Veranstaltung und viele andere Anlässe backt.

In seiner Eröffnung erinnerte Blöth daran, dass ohne die Roggenfelder das FriedensBrot und auch das Forum selbst nicht entstanden wären. Die Felder rund um die Kapelle stünden für die Kraft, Gegensätze zu überwinden und an einem Ort, der einst trennte. Frieden und Verständigung, so betonte er, entstünden nicht von selbst, sondern müssten – wie ein Feld – gepflegt und jedes Jahr aufs Neue bestellt werden. Der Verein FriedensBrot habe diese Idee aufgenommen und weitergetragen: als Plattform für Dialog, Kooperation und Austausch über Grenzen hinweg, als Brücke zwischen Landwirtschaft, Frieden und europäischer Verständigung.

Im Mittelpunkt des Abends stand das Gespräch zwischen Prof. Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, und Pfarrer Thomas Jeutner von der Versöhnungsgemeinde. Beide prägen den Ort seit vielen Jahren – der eine als Leiter der Gedenkstätte, der andere als Seelsorger der Gemeinde, deren Kirche und Gemeindeland direkt auf dem ehemaligen Todesstreifen liegen. Moderiert wurde das Gespräch von Catarina Zanner, die mit Empathie und journalistischer Neugier den Austausch leitete und dabei viele persönliche Geschichten wie auch lehrreiche Erfahrungen der beiden Gesprächspartner hervorhob.

Die Podiumsdiskussion mit Thomas Jeutner und Prof. Axel Klausmeier, moderiert von der RBB-Journalistin Catarina Zanner

Bevor das Gespräch begann, erinnerte Künstler und Architekt Michael Spengler, der die ursprüngliche Idee hatte, Roggen im ehemaligen Todesstreifen zu säen, an die Anfänge. Damals, Anfang der 2000er Jahre, wuchs auf dem Kirchengemeindeland kaum mehr als Wildkraut. Spengler wollte ein Zeichen setzen – für Werden und Vergehen, für Leben und Wandel an einem Ort des Todes. Roggen, so erzählte er, schien ihm – nach Beratung mit Landwirten – das richtige Symbol: ein Korn, das vergeht, um Neues hervorzubringen. Die erste Aussaat war voller Fragen, etwa, wie man den Roggen überhaupt ernten solle. Eine glückliche Fügung führte damals zu Prof. Frank Ellmer von der Humboldt-Universität, der mit Rat und Tat half. So entstand eine Verbindung zwischen Kunst, Kirche, Wissenschaft und Landwirtschaft, die bis heute den Ort und das Roggenfeld prägt.

Michael Spengler
Michael Spengler

Ausgehend von dieser Geschichte erzählten Klausmeier und Jeutner, wie sie selbst dem Roggenfeld begegneten und was es für ihre Arbeit bedeutet.

Axel Klausmeier, im Ruhrgebiet geboren, wuchs in einem Gartenbaubetrieb auf. Doch statt den elterlichen Weg fortzuführen, zog es ihn in die Kunst- und Architekturgeschichte. Schon als Student faszinierten ihn die Brüche und Schichten der Berliner Stadtlandschaft – und die Mauer als eine besondere, bedrückende „Kulturlandschaft“. 2009 wurde er Gründungsdirektor der Stiftung Berliner Mauer. Für ihn ist das Roggenfeld ein starkes Symbol dafür, dass Natur und Leben das letzte Wort behalten: „Die SED hatte nicht das letzte Wort“ – es war die Natur, die wieder Besitz ergriff – die Roggenfelder stünden dafür.

Thomas Jeutner, seit 2013 Pfarrer der Versöhnungsgemeinde, stammt aus der ostdeutschen Provinz, geboren in Prenzlau. Er sprach von seiner Kindheit zwischen Acker und Kirchenbank – vom Großvater, der ihm früh den besonderen Wert, aber auch die Mühen der Landwirtschaft vermittelte – und davon, wie ihn sein Weg über viele Stationen schließlich nach Berlin führte. Als er zum ersten Mal vor dem Roggenfeld stand, spürte er, dass dieser Ort etwas Besonderes ist und fortan seine pastorale Arbeit prägen sollte. Er berichtete von Begegnungen, die dort stattfinden, und von der Wirkung, die das Feld auf Besucherinnen und Besucher aus aller Welt hat.

Thomas Jeutner
Prof. Axel Klausmeier

Beide beschrieben eindrücklich, wie viele Menschen auf die Roggenfelder reagieren: überrascht, innehaltend, berührt. Inmitten einer Gedenkstätte, in der man vor allem Beton und Stacheldraht erwartet, stehe das Roggenfeld als ein „Stolperstein für das Leben“, als Sinnbild für Wandel und Versöhnung. Es zeige, dass Geschichte nicht abgeschlossen ist, sondern weiterwächst – wie das Roggenfeld selbst. Im Gespräch wurde spürbar, wie verschieden die Perspektiven von Klausmeier und Jeutner sind und wie eng sie doch zusammenwirken. Der eine betonte die historische und gesellschaftliche Bedeutung des Ortes, der andere seine geistliche und menschliche Dimension. Beide verband die Überzeugung, dass Erinnerung nur lebendig bleibt, wenn sie geteilt, weitergegeben und immer wieder neu gestaltet wird. Dazu gehören dann auch einmal praktische Fragen, wie die Erhaltung der Bodenfruchbarkeit der Roggenfelder und deren Schutz vor Vanalismus.

Beide erzählten mit Dankbarkeit und Humor von vielen Begegnungen während der gemeinsamen Jahre der Zusammenarbeit, erinnerten sich an ähnlich verlaufende „Bewerbungsgespräche“, die sie nach Berlin führten und erinnerten besonders an die prägende Rolle, die Pfarrer Manfred Fischer bei der Verbindung zwischen Gemeinde, Gedenkstätte und schließlich auch dem FriedensBrot-Projekt spielte.

In der anschließenden Publikumsrunde meldeten sich zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Gemeindemitglieder mit eigenen Erinnerungen und Erfahrungen zu Wort. Viele erinnerten an stille Momente, an gemeinsame Ernten oder Begegnungen auf dem Feld. Dr. Gibfried Schenk, Initiator und langjähriger Geschäftsführer des Projekts FriedensBrot, schilderte, wie sich aus den Roggenfeldern an der Bernauer Straße die Idee entwickelte, „Mauerroggen“ entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs auszusäen. Daraus entstand das Europäische FriedensBrot, das seit 2014 Menschen in vielen Ländern Europas miteinander verbindet.

Dr. Anoush Steinberger-Ficiciyan

Zum Abschluss sprach Dr. Anoush Steinberger-Ficiciyan, seit Anfang 2025 Geschäftsführerin des Vereins FriedensBrot, über die jüngste „Reise des Roggens“ im Jahr 2025 bis nach Ungarn, wo die 11. Jahreskonferenz des Netzwerks „Frieden und Landwirtschaft“ stattfand. Sie berichtete über das neue Format eines „Sourdough-Camps“, das junge Menschen aus der Landwirtschaft und aus ländlichen Regionen für die Werte von Frieden, Verständigung und Dialog gewinnen soll. Mit herzlichen Worten lud sie die Gäste im Anschluss zum weiteren Austausch ein. Bei Wein,

Käse und dem frisch gebackenen FriedensBrot von Bäckermeister Zimmermann klang der Abend in offener, lebendiger Atmosphäre aus.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies, Facebook- und Youtube-Plugins zu. Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen